Präventiv Intervenieren

Rezension zum Buch von Frau Prof. Dr. Barbara Wedler

Zielsetzung:
Michel Voisard setzt sich zum Ziel, Prävention zu desillusionieren und somit „eine angemessene Beurteilung der Möglichkeiten von Prävention“ (S. 5) zu erarbeiten.

Aufbau:
Die Veröffentlichung ist wie folgt gegliedert:

  1. Begriffliche Abgrenzung
  2. Präventive Intervention und ihre Komplexität
  3. Professionalisierung und Einsatz in Medien
  4. Prävention und die Komplexität der zus intervenierenden Systeme
  5. Fazit

Inhalt:
In der Einleitung stellt Voisard die Leitthese des vorliegenden Buches auf: „Problemverhinderndes Zuvorkommen als Zielvorstellung von Prävention ist hoch unwahrscheinlich.“ S. 3 Seine Leitthese wird in drei Folgethesen untergliedert. Und der Autor bringt den Inhalt der präventiven Intervention (verhinderndes Zuvorkommen) auf den Punkt, indem er sie dem fortdauernden Kampf gleichsetzt. Denn präventive Intervention ist „hoch unwahrscheinlich und deshalb unendlich“ (S.4). Und für den Leser wird deutlich, wie sehr „Prävention“ auch (medial) missbraucht wird. Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen nutzt der Autor die Systhemtheorie Luhmanns. Es folgt eine inhaltliche Abgrenzung und die Darlegung von Zusammenhängen von Prävention und Intervention. Die Klärung der inhaltlichen Zuordnung von Prävention basiert auf der Analyse des Verhältnisses zur Zielgruppe sowie zum Problem selbst. Voisard ordnet die Prävention der Intervention unter und benennt die präventive Intervention als Untergruppe. Im Mittelpunkt steht die Risikogruppe, die durch Selektion herausgefiltert wurde und mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Problem entwickeln könnte.

Der erste Teil des 2. Kapitels widmet sich der Entstehung, Struktur und Differenz von Prävention. Interessant dabei ist der Blick auf die Beziehung von Systemen zum Körper, der Psyche und das Soziale. In Bezug auf den Körper z.B. entwickelte sich eine bestimmte Prävention wie Impfungen, die der Medizin zuzuordnen sind. Vor diesem Hintergrund differenzierte sich Prävention ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Sinne moderner Prävention sind dabei die historischen Prämissen von Bedeutung: die Beachtung der Lebensbedingungen (Mitte 19. Jhd.) sowie die Beachtung des sozialen Handelns (Mitte 20.Jhd.). Die Adressaten von Prävention sind Zielgruppen/ Risikogruppen, die allerdings durch Selektion definiert wird. Die Kriterien der Selektion sind veränderbar, somit kann jeder Mensch, jede Gruppe, Organisation etc. zur Risikogruppe werden. Und mit dieser Selektion wird Prävention begonnen, die sich auf (mögliche) Risiken in der Zukunft richtet. Auf dieses Paradox, Risiken und Risikogruppen zu konstruieren, die es gegenwärtig ohne eine Gefahr nicht gäbe, baut der zweite Teil auf. Im Fazit ist Prävention wirkungsvoll, mit erwünschten und evtl. auch unerwünschten Effekten.

Wodurch die gewünschten Effekte wahrscheinlicher werden, wird im 3. Kapitel diskutiert. Erfolgsversprechende Wege präventiver Intervention gehen über Professionalisierung (die Bildung von Organisationssystemen) einerseits und andererseits den Einsatz von Medien.

Im 4. Kapitel vollzieht der Autor einen Perspektivenwechsel, indem er das Zielsystem, die Risikogruppe in den Mittelpunkt der Betrachtungen setzt. Voisard arbeitet präventive Interventionsanlässe heraus, und stellt das psychische System ins Zentrum der präventiven Intervention. Die Möglichkeiten der Kommunikation der Zielgruppen (kontingente Möglichkeiten) werden bzgl. sozialer Situationen exemplarisch dargestellt. Gerade der Bezug zur Neurobiologie lässt manche aktuelle Präventionsstrategie aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Treffende Beispiele sind sowohl das Rauchverbot als auch „Safer Sex“.

Als Fazit hält Voisard fest, dass der Erfolg präventive Intervention nicht berechenbar ist, jedoch eine große Bandbreite an Möglichkeiten inne hält, die es zu nutzen gilt. Es geht nicht nur um ein verändertes Erfolgsverständnis, das rückblickende positive Selbstbestätigung wie auch selbstgefälligen Erfolg entlarvt. Es geht ebenfalls um Irritabilität, also um die Verknüpfung von Potentialen der Prävention mit einer Bandbreiten von Reaktionen der Zielgruppen, dank der die Organisationen das gewonnene Wissen in die Praxis überführen können. Mit anderen Worten so klug und nachhaltig präventiv intervenieren, dass eine zu erwartende Reaktion z.B. Safer Sex höchst wahrscheinlich wird.

Diskussion: Das Buch von Michel Voisard will aufklären – über vertane Chancen der Prävention aufgrund oberflächlicher Herangehensweise. Eine von vornherein positive Konnotation von Prävention bewegt sich in Richtung riskante Prävention. Den Blick des Lesers auf den „blinden Fleck“ von Prävention zu richten und diesen zu erhellen, ist eine Meisterleistung dieses Buches. Welche Chancen für präventive Interventionen in den Systemen, der Kommunikation miteinander und vor allem im Individuum selbst liegen, begründet und diskutiert Voisard auf seine, soziologisch basierte, Art. Somit legt er einen Baustein die bestmögliche Prävention zu erreichen.

Fazit:
Den Gedanken von Michel Voisard kann der Leser ohne spezielle soziologische Vorbildung anfangs nur schwer folgen. Lässt man sich jedoch auf die Begrifflichkeiten von Luhmann ein, wird man mit vielen erhellenden und anregenden Gedanken zur Prävention und dem Zusammenspiel von menschlichen und gesellschaftlichen Phänomenen belohnt. Jeder (Präventions-)Fachmann sollte sich den tiefergehenden Blick auf das scheinbare Allheilmittel „Prävention“ gönnen. Innere Zerrissenheit inklusive.

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